Stadtgeschichte
Stadtgeschichte
Alte Landkarte ÜbersichtStadt "zur lichten Aue" wurde sie genannt, als vor 700 Jahren die Menschen aus den sechs vorhandenen, aber verstreuten Ansiedlungen auf Geheiß ihres Landesherrn an die Erbauung einer sicheren Zuflucht gingen.
Zwischen 1283 und 1289, so berichtet die Chronik, legte Landgraf Heinrich I. von Hessen – Hessen war 1247 durch Trennung von der Landgrafschaft Thüringen entstanden – am Schnittpunkt der alten Handelsstraßen, der "Leipziger Straße", die Thüringen und Hessen verband, und der "Sälzerstraße", auf der das lebenswichtige Salz von Sooden in den Süden gebracht wurde, den befestigten Platz an, der neben dem Schutz dieser Straßen auch den Zugang zur Landeshauptstadt Kassel sichern und die Grenzfestung Reichenbach entlasten sollte.
Die Stadt wurde erstmals am 25. März 1289 urkundlich als "neue Stadt" erwähnt. Ihr waren von vornherein Stadtrechte verliehen; ebenso oblag ihr die Gerichtsbarkeit.
Innerhalb der heutigen Stadtgemarkung lagen einst sechs Ansiedlungen: Vortriden, Siegershausen, Kamphis, Herzelshagen, Hönrode und Boppenhagen. Hauptort war Vortriden. Das einstige Pfarrdorf gehörte zu den ältesten des ganzen Amtes und lag etwa 500 m nördlich der Stadt (vom alten Stadtkern aus gesehen). Um das 8. bis 9. Jahrhundert gedenken die Fuldaer Zinsregister seiner unter dem Namen "Borantriden". Das Gebiet war also schon früh besiedelt. Lichtenaw
Nach der Erbauung der Stadt wurden die Orte von ihren Bewohnern verlassen und verödeten. An sie erinnern heute nur noch die Flurnamen.
Bei der Erbauung der Stadt stand die Sicherheit und der Schutz im Vordergrund. Die Befestigung erstreckte sich zunächst auf Graben und Wall. Sehr bald wurde der Bau von Mauern und Türmen begonnen. Die zum Teil erhaltene Ringmauer mit zwei alten Befestigungstürmen – am Obertor und an der Westseite – erinnern an frühere Wehrhaftigkeit.
Unter dem Schutz der Mauern wuchsen die Wohnstätten rasch empor. Die Gebäude wurden in Fachwerk errichtet, der Raum aufs äußerste ausgenutzt. Das Straßennetz war einfach gestaltet. Es umfaßte nur zwei Hauptstraßen. die Mittelstraße, die die beiden Tore (Obertor und Untertor) in gekrümmter Linie verband, und eine Ringstraße. Die planmäßige Anlage der Stadt ist heute noch in aller Deutlichkeit zu erkennen.
Mannigfaltig waren die Geschicke der Stadt im Lauf der Jahrhunderte. Oft wurde sie von Kriegslärm umtobt. Im Dreißigjährigen Krieg, am Osterdienstag, dem 11. April 1637, eroberten Kroaten die Stadt und zündeten sie an allen Ecken an. 84 Wohnhäuser samt Rathaus und alle öffentlichen und kirchlichen Gebäude wurden ein Raub der Flammen. Weitere Leiden brachte der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) und die Franzosenzeit (1806 – 1813). Bei Großbränden wurden zahlreiche Häuser zerstört. 1521 (der größte Teil der Stadt), 1523 (36 Häuser), 1875 (52 Gebäude) 1886 (Kirche und 54 Gebäude) und 1929.
Von dem alten Stadtbild ist daher recht wenig erhalten geblieben. Besondere Erwähnung verdienen in der Landgrafenstraße die schöne gotische, aus dem 14. Jahrhundert stammende Pfarrkirche und das Rathaus mit dem städtischen Wahrzeichen am Giebel - dem Löwen und der Laterne - (1656), an der Friedrichsbrücker Straße die Marienkapelle (1370 – 1410, 1889 ausgebessert, 1981 erneut renoviert) und in der Burgstraße der Junkerhof, der einstige Burgsitz der Herren von Meisenbug.
Bevor wir diese Abhandlung beenden, sei noch eines Mannes gedacht: des Kanzlers Johannes Feige, 1482 in Lichtenau geboren, gestorben am 20. März 1543 in Kassel. Kanzler Feige war maßgeblich in der Einführung der Reformation in Hessen durch Landgraf Philipp I. den Großmütigen und an der Errichtung der Universität Marburg, deren 1. Kurator er war, beteiligt.
Im Oktober 1866 wurde das Kurfürstentum Hessen preußische Provinz und Lichtenau eine preußische Stadt.
Der Name der Stadt hat im Lauf der Zeit mehrfache Wandlungen erfahren: z.B. Lichtenowe (1289), Leuchtenau (1639 – 1689) und Lichtenau (ab 1690). 1889 erhielt die Stadt durch Dekret der Königlichen Regierung zu Cassel (3. August) den Namen Hessisch Lichtenau. Damit wurde den ständigen Verwechslungen mit den übrigen elf gleichnamigen Orten Lichtenau begegnet.
Nach diesem kurzen, keineswegs erschöpfenden Ausflug in die Geschichte wollen wir uns einem anderen Thema zuwenden.
Haupterwerbsquelle war trotz des rauhen Klimas jahrhundertelang die Landwirtschaft. Besondere Vorrechte, wie Märkte und das Monopol für Handwerksbetriebe in den Gerichten Lichtenau und Reichenbach, und Gewerbefleiß führten zu einigem Wohlstand. Bedeutend war die Leinenweberei, die schon im 16. Jahrhundert nachweisbar ist, im 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts (um 1858: 51 Leineweber). Es gab zwei Handelshäuser, die Leinen vorwiegend nach Westindien ausführten. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung brachte die einst so bedeutsamen Erwerbszweige zum Erliegen. Die Maschine verdrängte die Handweberei. Ersatz bot sich durch den 1862 einsetzenden Braunkohlenbergbau (eingestellt 1967/68 Tiefbau/Tagebau) und eine Zigarrenfabrik (1868 bis 1933).
Mit dem Bau der Kassel – Waldkappeler Eisenbahn (1879) nahm eine weitere Entwicklungsphase ihren Anfang. Im Zug der Streckenstillegungen wurde auf dieser Strecke der Personennahverkehr von der Schiene auf die Straße verlegt (ab 1. Juni 1985). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte die Bautätigkeit außerhalb des alten Stadtkerns ein. Der entscheidende wirtschaftliche Aufschwung kam mit der Errichtung der Schwerweberei Fröhlich & Wolff (1907).
In den Jahren 1936 bis 1938 wurde in östlicher Richtung, auf dem jetzigen Kasernengelände, ein Flugplatz als Außenlandeplatz des Fliegerhorstes Rothwesten angelegt und im Waldgebiet Hirschhagen eine große Rüstungsfabrik (Sprengstoff), die Gleisanschluß an die Bahnlinie Walburg - Großalmerode erhielt, errichtet.
Im Zuge der letztgenannten Maßnahme wurden große Lager erstellt. Barackenlager: Vereinshaus (das heutige Gelände der Schule Heinrichstraße), Teichhof (Gelände der Orthopädischen Klinik), Falkenhorst (heute Siedlung Föhren). Feste Unterkünfte wurden geschaffen im Lager Herzog (jetzt Siedlung West) und Lager Waldhof, das nunmehr zu Eschenstruth gehört und 1950 aus dem Stadtgebiet ausgemeindet wurde.
Die Erweiterung des Baugebietes der Stadt ging mit dieser Entwicklung einher. Im Jahr 1905 wurden 207, 1945 518, 1961 831 und 1978 1584 Gebäude gezählt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) setzte durch die Alliierten die Demontage im Werk Hirschhagen ein. Die Fabrikationsstätten wurden größtenteils gesprengt. Es sah nicht danach aus, daß dort jemals wieder neues Leben aus dem chaotischen Trümmerfeld erwachsen würde. Bald aber regte sich der Unternehmergeist und es entstanden die ersten kleineren Betriebe, denen größere folgen sollten.
340 Evakuierte und 1450 Heimatvertriebene fanden in den Kriegs- und Nachkriegsjahren in der Stadt eine neue Heimat. Auf vielen Gebieten herrschte ein ungeheurer Nachholbedarf.
Die im Jahr 1895/96 erbaute Schule in der Landgrafenstraße reichte schon lange nicht mehr aus. In mehreren Bauabschnitten -1950, 1955, 1956, 1958 und 1964 – entstand zwischen Heinrich- und Hopfelder Straße eine moderne Schulanlage mit Turnhalle. 1960 konnte die Freiherr-vom-Stein-Schule (Gymnasium), 1946 als Privates Realgymnasium gegründet, den Neubau an der Bergstraße beziehen, dem 1965 die Spiel- und Sporthalle und in den Jahren 1971 und 1978 weitere Bauten für die Gesamtschule folgten. Der Aufbau der Orthopädischen Klinik und des Rehabilitationszentrums "Lichtenau" begann 1949 auf dem Gelände des Lagers Teichhof. Die Klinik hat sich im Lauf der Jahre zur heutigen Größe und Bedeutung entwickelt. Die Bundesrepublik Deutschland errichtete in den Jahren 1960 bis 1962 auf dem ehemaligen Flugplatzgelände eine Garnison für die Bundeswehr. Mit dem Einzug der Truppen im November 1962 wurde Hessisch Lichtenau Garnisonsstadt.
Um einen Mittelpunkt im kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu schaffen, wurde das Bürgerhaus errichtet, das 1968 seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Die Gesamtheit aller Maßnahmen in den zurückliegenden 35 Jahren, zu denen noch weitere große Projekte wie der Bau der Kläranlage (1968), die Neuordnung der Kanalisation (1967 – 1970) und der Wasserversorgung, der Bau von Kindergärten (1971 und 1973), und des Hallenbades (1975), die Förderung des Wohnungsbaues und der Industrieansiedlung und vieles andere mehr gehören, trug zur Verbesserung der Infrastruktur bei.
Ihre Aufgeschlossenheit stellte die Stadt weiter unter Beweis, als sie im Jahr 1971 einen Beitrag zur europäischen Völkerverständigung leistete und eine Partnerschaft mit der belgischen Gemeinde Dessel einging.
Eine wesentliche Erweiterung kam mit der Anfang der siebziger Jahre eingeleiteten Gebietsreform, die sich etappenweise – 1971, 1972 und 1974 vollzog.
Schriften:
G. Siegel; Geschichte der Stadt Lichtenau in Hessen – vergriffen
Stadt zur lichten Aue (Festschrift 1950) – vergriffen
Dr. B. Liebers: Kanzler Johannes Feige (1482 – 1543)
K. Schwalm: Lichtenauer Geschichten
Stadtführer "Hessisch Lichtenau – im Werra-Meißner-Kreis"
C. F. Heller: Hessisch Lichtenau – Ein Blick in die Vergangenheit
700 Jahre Hessisch Lichtenau 1289 – 1989 (Hrsg. Stadt, 19)